„Der Maskenball“

 

 

… denn eine Woche nach Einzug zeigte er Herrn Dillinger gegenüber Aggressionsverhalten in Form von fauchen sowie beißen in Füße und Hände.

Wenn Sie meine Posts regelmäßig lesen, wissen Sie, dass ich bei PLÖTZLICH auftretenden Verhaltensveränderungen/-problemen hellhörig werde und -je nachdem, wie das Problem gelagert ist- meinen Kunden in einem ersten Schritt eine tierärztliche Untersuchung empfehle, um (organische) Erkrankungen als Ursache für das Verhaltensproblem auszuschließen. Auch wenn es zeitliche Zufälle geben mag, hatte ich in diesem Fall jedoch den Eindruck, dass Larry´s Aggressionen mit dessen neuem Lebensumfeld zusammenhängen könnten. Da mich Herr Dillinger bereits in den ersten fünf Minuten des Telefonats um einen Hausbesuch bat, wollte ich mir die Problematik wenige Tage später vor Ort ansehen.

In Hennef (Ort geändert) lernte ich neben Herrn Dillinger sowie dessen Tochter und Enkelchen einen durchweg freundlichen und entspannten Kater kennen, der direkt nach Ankunft mit mir Kontakt aufnahm. Und auch Larrys Verhalten seinen Menschen gegenüber kam mir äußerst intensiv und wohlwollend vor. Der Kater begleitete uns eine geraume Zeit bei der Hausführung, um dann eines seiner Sonnenplätzchen im Garten aufzusuchen. Die Hausführung, die mir wichtig war, um mir ein genaueres Bild von Larrys Lebensumfeld zu machen, ergab bis auf zwei Verbesserungsvorschläge im Fütterungs-Arrangement keinerlei Beanstandungen.

So ging ich unverrichteter Dinge ziemlich ratlos, da sich der Auslöser für Larrys Aggressionsverhalten nicht erkennen ließ, heim. Um annähernd eine Chance zu bekommen, einen roten Faden in Larry´s Verhalten zu erkennen, empfahl ich Herrn Dillinger und dessen Tochter stichwortartig ein Tagebuch anzulegen. Dies mit den Informationen, zu welcher Uhrzeit und an welchem Ort Larry Aggressionsverhalten zeigte, welche Personen in seiner Nähe waren, was direkt zuvor geschah (Handlungen der Personen etc.), wie sich Larry unmittelbar nach seinem Aggressionsverhalten verhielt und was er tat, sowie Notizen über evtl. Besonderheiten. Darüber hinaus riet ich ihnen, soweit möglich, Larrys Aggressionsverhalten in Videoaufzeichnungen festzuhalten und mir zukommen zu lassen.

Im Laufe der folgenden Tage erhielt ich vier per Handy aufgenommene Videos. Eines zeigte einen fauchenden Larry auf der Terrasse, während Herr Dillinger lesend im Stuhl zu sehen war. Ein weiteres wurde im Garten aufgenommen. Herr Dillinger inspizierte etwas vorn über gebeugt konzentriert seine Blumen, während Larry es auf Herrn Dillingers Füße abgesehen hatte. Ein drittes Video zeigte Herrn Dillinger kochend in der Küche, während Larry abermals versuchte, Herrn Dillingers Füße zu attackieren. Das vierte Video wurde im Wohnzimmer aufgenommen. Herr Dillinger saß mit einer Fernsehzeitung vor dem TV. Alle vier Videos entstanden zu unterschiedlichen Uhrzeiten. Wie bitte sollte ich einen roten Faden erkennen?

Ich telefonierte mit Herrn Dillinger, um ihm folgenden Gedanken mitzuteilen: In Verbindung mit meinen o.g. Verbesserungsvorschlägen im Fütterungs-Arrangement erwähnte die Tochter, dass Larry seit kurzer Zeit auch „nicht der beste Fresser“ sei. Also schienen mir Zahnprobleme, die Schmerzen verursachten und durch diese Aggressionsverhalten auslösten, recht naheliegend bzw. abklärungswürdig. Herr Dillinger bat mich allerdings im Vorfeld nochmals um einen Hausbesuch, da er im Rahmen einer artgerechten Katzenhaltung in seinem Erdgeschoss noch einige Änderungen für Larry vornehmen wollte. Er war der Meinung, dass Larrys Aggressionsverhalten damit zusammenhängen könnte, dass Larry sich einfach bei ihm nicht wohlfühle. Ich teilte Herrn Dillinger meine Zweifel mit, aber er ließ nicht locker. Ok, denn ich wollte diesen Hausbesuch nutzen, um die Umgebungen, in denen die vier Videos entstanden, nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen. Zwei Tage später war es so weit.

Erneut fand ich einen völlig entspannten Kater vor, der uns wiederholt durch das Haus begleitete. Da Herr Dillinger mich bat, im Internet gemeinsam für Larry einen geeigneten Kratzbaum zu finden, setzte ich mich nach der Hausbegehung mit Herrn Dillinger und dessen Tochter auf die Terrasse. Larry begleitete uns und legte sich ca. 2 Meter entfernt in aller Gemütlichkeit auf den Rasen.

Herr Dillinger fuhr den Laptop hoch, setzte sich die Brille auf und schon geschah es! Larry rannte in einem Affenzahn auf Herrn Dillinger zu und versuchte, ihm in die Wade zu beißen. Ich konnte kaum so schnell schauen! Die Tochter, die sich am nächsten zu Larry befand, war schon zu ihrem Vater gesprungen, um Larry von ihm wegzuzerren, was ihr auch erfolgreich gelang.

Moment! Was war geschehen? Setzen auf die Terrasse – Laptop hochfahren – Brille aufsetzen …. Brille aufsetzen? Moment! Brille aufsetzen!?!?!?! Ich dachte an die vier Videos? Lesen! Blumen inspizieren! Kochen! Fernsehen mit Fernsehzeitung! Das konnte doch gar nicht sein! Jedoch war dies die letzte Handlung Herrn Dillingers, bevor Larry ihm gegenüber Aggressionsverhalten zeigte.

Zwischenzeitlich war Ruhe auf der Terrasse eingekehrt und sofort teilte ich Herrn Dillinger und dessen Tochter meine Gedanken mit.

Die Tochter schaute mich konsterniert an, druckste eine Weile herum, um mir dann mitzuteilen, dass sie sich aufgrund von häuslicher Gewalt von ihrem Mann getrennt hatte. Der Auslöser, ihn endgültig zu verlassen, war, dass er Larry im Vorbeigehen schwer getreten hatte. Der Noch-Ehemann der Tochter trug eine Brille, die mit ihrem dickeren schwarzen Gestell der Brille ihres Vaters recht ähnlich sehen sollte.

Kurzum: Herr Dillinger hatte u.a. ein rahmenloses Brillengestell aufbewahrt, welches zwar über schwächere Brillengläser verfügte, mit denen er dennoch gut sehen konnte. Zwischenzeitlich hat er sich die Dioptrien der Gläser anpassen lassen. Denn seit Nutzung dieses Gestells zeigte Larry ihm gegenüber kein einziges Mal mehr Aggressionsverhalten.

Ich freue mich, dass ich Herrn Dillinger und dessen Tochter bei ihrem Anliegen unterstützen durfte.