„Die Assistentin“

 

 

… Um weitere Informationen über beide Katzen, deren Lebensumfeld sowie Ernährung, Beschäftigung & Co. zu erhalten, besprach ich mit Herrn und Frau Fischer, ihnen per E-Mail meinen Anamnesebogen zukommen zu lassen, mit der Bitte, diesen ausgefüllt an mich zurückzusenden. Nach Analyse des Bogens sollte ein Hausbesuch erfolgen. Der Anamnesebogen ergab keine großen Auffälligkeiten; zwei, drei Verbesserungsvorschläge in Bezug auf die Haltungsbedingungen, die aber mit relativer Sicherheit nicht mit Milly´s Verhalten Sina gegenüber in Zusammenhang standen. Also auf zum Hausbesuch!

Das Ehepaar lebte mit ihren beiden Fellnasen in der Erdgeschosswohnung einer ruhigen Reihenhaussiedlung. Aufgrund dessen, dass in der Nachbarschaft weitere Samtpfoten lebten, hatten die Fischer´s nach Absprache mit dem Vermieter in eine Terrassentür eine chipgesteuerte Katzenklappe einbauen dürfen. So konnten Milly und Sina ihr Katzenleben im Freigang genießen.

Um es kurz zu machen: Das Ergebnis des Hausbesuches war nicht so erfolgreich wie erhofft, da ich den Auslöser für Milly´s Verhalten nicht erkennen konnte. Dennoch war mein Kommen sinnvoll, da ich so zum einen die Gelegenheit hatte, Milly und Sina persönlich kennenzulernen: Sie hielten sich während meines Besuchs im Büro des selbstständig tätigen Herrn Fischers auf. Sina schlief. Milly beobachtete uns sehr aufmerksam auf Herrn Fischers Bürostuhl sitzend, wobei ihr Blick immer wieder durch den Raum wanderte und am Fenster hängenblieb. Die umherfliegenden Vögel schienen sehr spannend zu sein. Zum anderen konnte ich während meines Hausbesuches mit Fischers einige Maßnahmen besprechen, die mir auf das Problemverhalten Milly´s sinnvoll erschienen. Ich dachte auch kurz darüber nach, dem Ehepaar die Empfehlung auszusprechen, mit Milly beim Tierarzt des Vertrauens vorstellig zu werden, um mithilfe eines großen Blutbildes abzuklären, ob das Problemverhalten ggf. organische Ursachen hatte. Aber irgendetwas hielt mich -derzeit- von dieser Empfehlung ab. Denn es stand etwas im Raum, das ich noch nicht fassen konnte.

Etwa vier Wochen nach dem Erstbesuch rief mich Frau Fischer an. Dies mit der Bitte, noch einmal vorbeizukommen. Denn obwohl die besprochenen Maßnahmen verlässlich umgesetzt würden, hätte sich an Milly´s Verhalten Sina gegenüber nichts verändert. Alles in allem sei die Situation sogar extremer geworden, da Sina nun damit begonnen hätte, sich Milly gegenüber zu wehren. Resultat war ein erstmaliger kleiner Kampf zwischen den beiden, der sich am Tage zuvor zugetragen hätte. Kurzum: Obwohl mein Kalender in den folgenden Tagen kaum noch eine Lücke zeigte, verabredete ich mich mit Fischers am nächsten späteren Abend. Denn in meinen Augen handelte es sich um einen „kleinen Notfall“, da ich vermeiden wollte, dass sich mit weiteren derartigen Attacke zwischen Milly und Sina Verhalten festigt.

Bei meiner Ankunft saß Herr Fischer noch arbeitend in seinem Büro. Sina stromerte draußen herum. Milly lag auf einem der vier zu einer Sitzgruppe gehörenden Stühle. Frau Fischer und ich nahmen auf den freien Stühlen Platz. Herr Fischer wollte noch eben etwas an seinem am Fenster stehenden Multifunktionsgerät einscannen. Er stand auf, ging in Richtung Gerät, machte dessen Klappe hoch und schon geschah es. Milly sprang wie von einer Tarantel gestochen auf, rannte los, sprang auf die Fensterbank, im nächsten Schritt auf einen neben dem Gerät stehenden Beistelltisch und tatzte wie verrückt nach der fahrenden Lichtschranke des Scanners. Wow! In dieser Aktion lag richtig Speed … und ich hatte ein Déjà-vu. Ähnliches Verhalten -allerdings lange nicht so extrem- hatte ich schon bei meiner Katze Bonnie erlebt, wenn sie mir in meinem Homeoffice bei meinen Scan- und Druckarbeiten „helfen“ wollte. Ähnliches Verhalten erlebe ich außerdem immer wieder, wenn Kunden ihre Fellnasen mit einem Laserpointer beschäftigen.

Was war passiert? Es war eindeutig! Milly zeigte Jagdverhalten, welches sie aber gar nicht vollumfänglich ausführen konnte. Denn zum Jagen gehören Elemente wie Orientieren, Fixieren, Beschleichen, Hetzen, Packen, Töten, Zerlegen und Fressen. Einen Lichtstrahl von Scanner, Laserpointer & Co., der für unsere Fellnasen im Endeffekt Beute darstellt, bekommen diese nicht zu fassen. Resultat: Sie können ihren natürlichen Jagdtrieb nicht ausleben. Dies ist für unsere Samtpfoten meist ziemlich frustrierend. Oftmals suchen sie sich dann ein Ventil, mithilfe welchem sie aufgestaute Energie abbauen. Dies bspw. in Form von Hyperaktivität oder eben wie bei Milly, indem sie sich ein anderes Objekt sucht, um ihre Jagdmotivation ausleben zu können.

Der Auslöser schien gefunden, denn Herr Fischer erzählte mir nach diesem Vorfall, dass Milly regelmäßig im Büro saß und nach seinem Empfinden oftmals nur darauf wartete, dass der Scanner wieder ansprang. Nach dieser Aussage wusste ich auch, was mich während meines ersten Hausbesuches störte: Milly schaute zwar immer wieder in Richtung Fenster und auf die umherfliegenden Vögel. Aber ihr Blick blieb recht oft -im Nachhinein gedacht zu oft und wie „getrieben“- an dem Multifunktionsgerät hängen.

Kurzum: Die Fischers und ich ließen das Multifunktionsgerät in einer direkt am Büro anliegenden Kammer umziehen. Darüber hinaus versuchte Herr Fischer in den folgenden Wochen -soweit es seine Selbstständigkeit zuließ- möglichst nur dann zu scannen und zu kopieren, wenn Büroassistentin Milly nicht in der Nähe war. Diese rannte nach unserem gemeinsamen Scan-Vorfall zwar noch einige Male hinter Sina her und versuchte sie zu fangen, doch dieses Verhalten nahm nach und nach ab. Drei Monate nach meinem zweiten Hausbesuch telefonierte ich ein letztes Mal mit dem Ehepaar. Milly und Sina leben zwischenzeitlich wieder harmonisch zusammen. Gejagt wird manchmal gemeinsam, meistens aber allein. Dies aber nur, wenn Mäuse in der Nähe sind.

Ich freue mich, dass ich Frau und Herrn Fischer bei ihrem Anliegen unterstützen durfte.